Vom Aufhören und von der Hoffnung
Wer einmal an einer Wanderung der DJK-Seniorinnen und DJK-Senioren teilgenommen und/oder sich in das sich anschließende Treffen in Gemeinschaft eingeklinkt hat, muss einfach nachdenklich werden. Er wird voll des Lobes über den Wanderweg, über die Gestaltung des Wanderweges wie über die Wandergruppe selbst sein. Er wird sich aber auch eine Frage stellen: Wie selbstverständlich ist das Ganze eigentlich? Wie lassen sich die bei allen beobachtbare Freude, Begeisterung und Zufriedenheit einordnen? Die meisten von ihnen sind im Rentenalter, stehen wohl nicht mehr im Berufsleben. Sie haben höchstwahrscheinlich ihre Zeit als aktive Sportlerinnen oder Sportler hinter sich. „Aufhören“, das scheint aber ein Fremdwort zu sein, angesichts der Spontaneität, der Zuversicht und des Frohsinns, die der Wandergruppe eigen sind. Grund genug, um über das Phänomen des ‚Aufhörens‘ nachzudenken.
‚Aufhören‘ ist Sportlern und Sportlerinnen nicht unbekannt. Ist ein Spiel, ein Wettkampf zu Ende, ertönt ein Signal: im Fußball der Schlusspfiff, im Handball die Schlusssirene. In der Leichtathletik wird bei Läufen die Schlussrunde bereits eingeläutet, bevor beim Zieldurchlauf die Uhr stehen bleibt. Jedes Signal bedeutet – das Spiel ist aus, der Wettbewerb ist vorbei, die Zeit ist abgelaufen. Es ist Zeit aufzuhören. Beim Spieler, beim Wettkämpfer, beim Trainer wie bei Zuschauern kommen Fragen auf: Ist mir/ist ihm ein guter Wettkampf gelungen? Was habe ich/was hat sie richtig gemacht, was ist mir/ihr weniger gelungen? In welcher Phase hat er/hat sie das Spiel für sich entschieden, in welcher Phase hat er es/sie es verloren?
Die Thematik des Aufhörens ist auch Führungskräften in (Sport-) Vereinen nicht unbekannt. Bei Neuwahlen fragen sich diese: Soll ich weitermachen oder aufhören? Wie soll es in unserer Vereinsgemeinschaft weitergehen? Was – der will aufhören? Letztere Frage kommt besonders dann auf, wenn Ehrenamtliche, die über Jahre, ja Jahrzehnte mit großem Engagement und viel Herzblut das Vereinsschiff ‚in der Spur gehalten‘ haben, nicht mehr zur Verfügung stehen (wollen).
Beim Aufhören geht es demnach um einen freiwilligen oder unfreiwilligen Schritt. ‚Aufhören‘ ist kein Phänomen, das auf den Sportbereich eingegrenzt ist; es taucht in allen Lebensbereichen, in allen Gesellschaftsschichten, in allen Altersschichten und in allen Gemeinschaften auf. Immer geht es um ein Ja oder ein Nein! Kindern fällt es schwer, mit dem Spielen aufzuhören. Erwachsene Menschen freuen sich auf den Ruhestand; sie bleiben aber nach Erreichen der Altersgrenze dem Betrieb treu – sie arbeiten weiter, Aufhören ist für sie keine Option. Bergsteiger, die kurz vor dem Erreichen des Berggipfels aus Witterungsgründen umkehren müssen, sind missgestimmt; sie haben ihr gesetztes Ziel nicht erreicht. Das hatten sie sich anders vorgestellt; sie geben aber die Hoffnung, den Berggipfel zu erreichen, nicht auf.
‚Aufhören‘ ist, so hinterfragt, ein gar nicht so gern gehörtes Wort. Es hat meist mit Verlust, mit Verarmung, mit Enttäuschung zu tun. Es hat damit zu tun, dass Menschen etwas Gewohntes loslassen (wollen oder müssen). Dem Begriff liegt eine gewisse Spannung inne. Es klingt nach dem großen Schnitt, nach Abschied – nach Ende. Soll das schon alles gewesen sein? – Wie geht es weiter? – Ist/war der Schritt richtig? – Geschieht/geschah es zum rechten Zeitpunkt?
Aufhören können (wollen oder müssen) hat aber noch eine zweite Seite. Auf einen Abpfiff kann ein Anpfiff erfolgen, ein Start in etwas Neues, ein Aufgreifen einer neuen Chance. Die Hoffnung darauf ist groß, sie erweist sich als tragfähig. Leider wird in nur seltenen Fällen das Wort ‚Aufhören‘ mit Neubeginn verbunden – mit Offenheit für Neues, mit Bereitsein zum Neugestalten mit Hoffnung auf Freisein. Es liegt wohl in der DNA von Menschen, lieber und länger auf ein Weitermachen als auf einen Neubeginn zu schauen. In noch selteneren Fällen wird es mit Frei-Werden oder mit Frei-Sein in Verbindung gebracht. Dabei steht doch fest: Verzicht macht frei, macht offen(er)! Loslassen muss nicht Stillstand heißen. Loslassen trägt in sich immer einen Funken Hoffnung.
Im Christentum sind die Pole ‚Aufhören‘ und ‚Neubeginnen‘ keine Gegensätze; beide Aktionen gehören zusammen, beide sind erstrebenswert; beide freilich müssen angenommen werden. Die Bibel ist voll mit beispielhaften Reden, mit denen Jesus Christus für ein engagiertes Leben im Geist des Dienens und der Nächstenliebe geworben hat. Genauso engagiert hat er zu Eifer im Streben nach einem neuen Leben im Reich Gottes aufgerüttelt.
Ein Blick auf Gegensätzlichkeit ist auch dem ignatianischen Gedankengut: nicht fern. Ignatius von Loyola empfiehlt den Ordensbrüdern, beide Seiten gegensätzlicher Positionen, die im menschlichen Dasein gang und gäbe sind, zu ‚erstreben‘ – Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, Ehre und Schmach, Leben und Tod. Auf das eine verzichten (müssen) heißt für etwas anderes frei werden.
Christliches Engagement umspannt demnach beide Optionen: Aufhören und Neubeginnen. Voraussetzung dafür ist, beides wird angenommen. Keine einfache Entscheidung. Der Autor dieser Zeilen bewundert die Wanderer auf DJK-Seniorenrouten. Für ihn haben sie den Schritt geschafft – den gewaltigen und mutigen Schritt des Loslassens wie den genauso mutigen Schritt des Neuanfangs. Wie es scheint, lassen sie, die unter DJK-Regie diözesanweit wandern, erleben, kennen lernen und sich besinnen, weitere ‚Anpfiffe‘ folgen. Sie spüren dabei hautnah, dass auch im Aufhören ein Segen liegen kann – eine Hoffnung mehr auf einem christlich gestützten Pilgerweg auf Erden. Sport und Bewegung können zu einer „Schule des Lebens und zu einer Werkstatt des Friedens werden.
Den Auftrag, der sich aus dieser Vision des Sports ergibt, umschrieb der neu gewählte Pontifex Leo XIV. bei einem Gottesdienst im Petersdom anlässlich der Heilig-Jahr-Feier der Sportler 2025 zum Thema „Sport und Hoffnung“ in seiner Predigt wie folgt:
„Liebe Sportlerinnen und Sportler, die Kirche vertraut euch eine wunderschöne Aufgabe an: dass ihr in euren Aktivitäten ein Widerschein der Liebe des dreifaltigen Gottes seid – zu eurem eigenen Wohl und zum Wohl eurer Brüder und Schwestern. Lasst euch mit Begeisterung auf diese Mission ein: als Athleten, als Trainer, als Vereine, als Gruppen, als Familien.“
Ein wirksamer Appell – Hoffnung, ja Begeisterung bei sportlichen Aktivitäten, über das ‚Aufhören‘ hinaus! Die Wandergruppe der DJK-Seniorinnen und DJK-Senioren lebt diesen Auftrag Monat für Monat vor intensiv und mit Freude, zum eigenen Wohl, zum Wohl des Anderen und in der Liebe zum Schöpfergott.
Text: Karl Grün